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Urbain N’Dakon: Weisheiten aus der Elfenbeinküste auf Deutsch gesungen

Seit 1993 lebt Dr. Urbain N’Dakon in Deutschland, zuerst in Bayreuth, wo er an der dortigen Universität promovierte und als wissenschaftlicher Angestellter arbeitete. Seit April 2012 ist Fulda sein neuer Lebensmittelpunkt. Dort arbeitet er in der Qualitätsentwicklung beim Caritasverband. Seine Leidenschaft galt aber immer der magischen Kraft der Musik. Wie ein tief verwurzelter Baum der gegen einen Sturm hält, gibt er Solo-Auftritte quer durch die Bundesrepublik und besingt afrikanische Weisheiten auf Deutsch und in seiner Muttersprache, Nzema. Man erlebt Urbain, seine Gitarre und seine Trommel alleine auf der Bühne, wie er gegen den Lärm und die Anforderungen unserer täglichen Existenz in einer technologischen Welt singt.

 

Urbain, Du hast schon mal erwähnt, dass Du zwei Müttern hast: die Elfenbeinküste als leibliche Mütter und Deutschland als Adoptivmutter. Was ist Deine Erfahrung gewesen, Dich in eine neue Kultur zu integrieren, sowohl persönlich als auch professionell?

Der größte Gewinn in meiner Begegnung mit Deutschland ist, dass ich eine (künstlerische) Form gefunden habe, in einem Dialog auf Augenhöhe mit Deutschland einzutreten. Danach habe ich regelrecht gedürstet. Vor allem nachdem ich mich von dem Einfluss der auswärtigen Kulturpolitik Deutschlands befreien und mir ein eigenes Bild von Deutschland machen konnte.

Ich war Deutschlehrer in meiner Heimat. Also hatte ich keinerlei Sprachprobleme, als ich nach Deutschland kam. Nur: Ich kannte Deutschland nicht. Ein Austausch mit deutschen Menschen auf Augenhöhe war für mich lange Zeit ziemlich schwierig. Die meisten Menschen, mit denen ich zu tun hatte, hatten keine Ahnung davon, dass Afrika vor langer Zeit auch „eine Hochkultur“ kannte. Eine, die eigentlich noch nicht ganz ausgestorben ist, sondern sich in bestimmten Ecken und Windungen der Seele der Menschen versteckt hält, um in Sicherheit zu leben.

Es war sehr schwierig, mich als Afrikaner – als Vertreter einer Kultur, die die deutsche auch befruchten kann – Gehör zu verschaffen. Ich bin doch nach Deutschland gekommen, um von Deutschland alles zu lernen, sonst nichts. Aber nachdem ich merkte, dass hier „auch nur mit Wasser gekocht wird“ und das massive Probleme bestehen, die in meiner afrikanischen Heimat unbekannt sind, ist mein Respekt vor der afrikanischen Kultur gewachsen. Diese Erkenntnis hat mich dann nicht mehr losgelassen. Seit ich die Musik spiele und meine Kenntnis der deutschen Sprache nutze, um afrikanische Philosophie zu vermitteln, seitdem ich das Gefühl habe, in Deutschland helfen zu können, weil meine Gedanken ankommen und den Menschen eine andere Wahrnehmung von Afrika ermöglichen, fühle ich mich wohl und angekommen.

Ein Afrikaner, der sich nur als geistiger Empfänger europäischen Wissens begreifen muss, kann sich nicht wohl fühlen. Und er kann auch keinen Respekt von Seiten der Menschen hier genießen. Empfangen und geben, das ist das Gesetz, dass uns Menschen gesund und unsere Seele lebendig hält.

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Wann hast Du denn bemerkt, dass Du „Deutsch-Ivorianer“ geworden bist und warst und nicht mehr nur „Ivorianer“? Gab es überhaupt so einen Moment für Dich?

In mir waren immer, sowohl Eigenschaften der deutschen Seele, als auch welche der afrikanischen. Schon als kleines Kind konnte ich nicht verstehen, warum Menschen zu spät zu einer Verabredung kamen. Im Kinderbasketball in meiner Schule war ich immer der Erste zum Training und habe auf die Anderen gewartet.

D.h.: Pünktlichkeit ist nicht etwas, was ich erst in Deutschland lernen musste. In der Elfenbeinküste hatte ich irgendwann eine solche Begeisterung für Deutschland entwickelt – ich war ein leidenschaftlicher Germanist und Gymnasiallehrer für Deutsch – dass meine Bekannten mich einen Deutschen nannten, obwohl ich noch nie in Deutschland gewesen war. Einmal in Deutschland habe ich dann die afrikanische Kultur, im deutlich gewordenen Kontrast zur deutschen, als einen Rettungsanker erlebt, denn ich konnte mich nicht mehr undifferenziert mit der deutschen Kultur identifizieren. D.h.: Ich bin in der glücklichen Lage, das Beste von der deutschen Kultur nehmen und weiter entwickeln zu können. Ich fühle mich in dieser einzigartigen Mischung absolut wohl und bin dankbar, dass ich meine afrikanische Prägung, die Nzema-Sprache usw. nicht vergessen und nicht verlernt habe.

Warum ist es so wichtig für Dich diese beiden Welten in Deiner Musik zu vereinbaren?

Diese zwei Welten sind die, in denen ich permanent lebe. Offiziell habe ich mich hier den deutschen Gesetzen und Gepflogenheiten zu richten. Wenn ich aber kein Ventil finde, um meine afrikanische Seele zu ihrem Recht zu verhelfen, dann werde ich krank; weil diese bei mir wohnt und mein Fühlen und Tun mitprägen will. Wenn ich das nicht tue, lebe ich in einem Zustand der geistigen Verkrüppelung. Deshalb war es für mich „lebensnotwendig“ diese beiden Welten zusammenzubringen. Das gelingt gut in der Musik, weil sie ein „ungefährlicher“ Simulationsraum ist, der von allen Menschen akzeptiert wird. Gehe ich nach Berlin und demonstriere dafür, dass Afrika als die Mutter der Welt mehr Respekt erfährt, kann das als ein aggressives Verhalten gedeutet werden. Wenn ich darüber singe, weniger. Denn Kunst ist nicht die Sprache der Menschen, sondern die Sprache der Götter. Und eine Sprache, die die Menschen glücklicherweise lieben, die sie respektieren, die sie verstehen und sogar sprechen können, wenn sie sich in die Höhe begeben, auf Tuchfühlung mit den Göttern.

Erzähl uns ein bisschen mehr von Deiner Musik – in welche Richtung Deine Musik geht und ob Du eine bestimmte Botschaft dadurch vermitteln willst.

Die Musik, die ich spiele, hat ein deutscher Reporter „Afrikanische Songpoesie“ genannt. Und das gefällt mir persönlich gut, da ich immer große Probleme hatte, diesen Musikstil überhaupt zu definieren. Als Untertitel benutze ich aber diesen Zusatz: „Die Kraft afrikanischer Weisheiten in Melodien und Geschichten“. Als ich durch eigene Überlegungen erkannte, wo der Unterschied zwischen afrikanischer und europäischer bzw. deutscher Kultur liegt, war ich total verblüfft. Es war wie eine Offenbarung. Die Trennlinie liegt beim Begriff der Säkularität. Europäische Kulturen wollen unbedingt säkulare Kulturen sein und bleiben. Afrikanische Kulturen bestehen nicht auf Säkularität, haben aber Gesetze, Produktionsweisen und Formen der Alltagsbewältigung angenommen, die sie zu einem säkularisierten Leben zwingt. Das kann nicht gut gehen. Ich finde die Weisheit des nicht-säkulären Afrikas grandios und erhellend für die moderne Gesellschaft. Und das sind die Inhalte, die ich in meiner Musik transportiere. Manche verstehen mich sofort. Andere können damit überhaupt nichts anfangen, selbst manche Afrikaner nicht.

Jetzt wissen wir etwas über Urbain den Künstler. Was ist mit dem Teil von Dir, der nicht mit Deiner Kunst zu tun hat … gibt es so einen Urbain?

Wenn ich nicht auf der Bühne stehe, singe ich trotzdem. Wenn ich auf Spaziergang bin, habe ich Melodien im Kopf. Aber wenn ich den Göttern deutlich zeige, dass ich im Büro die Konzentration auf meine Arbeit im Qualitätsmanagement brauche, dann lassen sie mich ein bisschen in Ruhe. Das können sie auch sehr lange tun, denn sie sind sehr höflich. Manchmal mehrere Wochen, bis ich es selbst unerträglich finde und wieder auf Tuchfühlung gehe und anfange Texte zu schreiben oder Melodien aufzunehmen. Das heißt: Ich habe, wie die meisten Menschen, eine „normale“ Arbeit und die Musik ist mein besonderes Privileg, mein „Hobby“.

Wenn Du Deutschland für eine verlassene Insel in einem Tag verlassen musstest, was würdest Du mitnehmen?

Eine Kiste voller Bücher, eine Gitarre, eine Trommel. In einem dieser Bücher gibt es ein Rezept, wie man auf einer einsamen Insel Essen und Trinkwasser findet.

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Was ist die peinlichste Situation, die Du schon mal erleben musstest?

Meine erste Stunde im Gymnasium. Im November 1975. Ich bin 3 Wochen nach Schulanfang ins Gymnasium gekommen und bin gerade in einem Englischkurs hineingeplatzt. Alle Schüler waren begeistert dabei, hatten sich ein bisschen Wissen angeeignet und spulten es so mit großer Freude runter. Ich hatte keine Ahnung und fand es unerträglich, nicht an der allgemeinen Heiterkeit teilnehmen zu können. So habe ich etwas von mir gegeben, das wahrhaftig sehr wenig englisch war. Das hat natürlich weiter zur allgemeinen Erheiterung beigetragen. Aber ich fand es nicht mehr lustig und dachte, wie schön es gewesen wäre, wenn ich gar nichts gesagt hätte. Wie ein alter Spruch lehrt: „Wenn das, was Du sagen möchtest, nicht schöner klingen soll als die Stille, dann solltest Du lieber schweigen“.

Danke, dass Du dir Zeit genommen hast deine Geschichte mit Maischna zu teilen!

Mehr zur Urbain auf seinen Homepage: www.urbain-ndakon.de

Zum Beispiel gibt es Hörproben für Lieder wie N’Gblakabô Ma – Wanderer!

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